Die Geschichte des Rieslings ist tief mit der deutschen Kultur verwoben. Als 1435 in einem Dokument der Schloss Johannisberger Bibliothek erstmals der Name "Rießlingen" auftauchte, ahnte niemand, dass dieser Wein einst als "König der weißen Rebsorten" gefeiert würde. In den Steillagen des Rheins, der Mosel und ihrer Nebenflüsse findet die Rebsorte ihre dramatischste Ausdrucksform - auf Schieferböden, die so steil sind, dass die Winzer sich manchmal wie Bergsteiger anseilen müssen.
Was den Riesling einzigartig macht, ist seine fast übernatürliche Fähigkeit, das Terroir widerzuspiegeln. Die gleiche Traube bringt in den vulkanischen Böden des Nahe-Tals völlig andere Weine hervor als auf dem roten Sandstein des Kaiserstuhls. Dabei zeigt sich die Rebsorte als wahre Zeitkapsel: Große Rieslinge können problemlos 50 Jahre und länger reifen, wobei sich ihre jugendlichen Aromen von Pfirsich und Limette in komplexe Noten von Petroleum, Honig und getrockneten Aprikosen verwandeln.
Die "Riesling-Renaissance" der letzten Jahrzehnte hat die Rebsorte aus dem Schatten der Liebfraumilch-Ära befreit. Heute entstehen weltweit aufregende Interpretationen: Von den kristallklaren, trockenen GGs (Großen Gewächsen) bis zu den legendären Eisweinen, die bei minus 7 Grad geerntet werden müssen. In Australiens Clare Valley entwickelt der Riesling Limetten- und Toastbrot-Aromen, während er im Elsass cremiger und körperreicher ausfällt.
Besonders faszinierend ist die Symbiose zwischen Riesling und der Edelfäule Botrytis cinerea. In den richtigen Bedingungen verwandelt dieser "edle" Schimmelpilz die Trauben in konzentrierte Beerenauslesen und Trockenbeerenauslesen - Weine von solcher Intensität und Komplexität, dass sie zu den teuersten der Welt gehören.
Die Spannweite des Rieslings ist beispiellos: Von knochentrocken bis edelsüß, von spritzig-jung bis würzig-gereift. Er kann nach Schiefer schmecken, nach Feuerstein oder nach reifen Äpfeln. Seine lebendige Säure macht ihn zum perfekten Speisebegleiter - von Meeresfrüchten bis zur asiatischen Küche. Ein großer Riesling ist wie ein Präzisionsinstrument: messerscharf in seiner Mineralität, vielschichtig in seiner Frucht und von einer Finesse, die ihresgleichen sucht.
